Er
ist eine wahrhaft schillernde Persönlichkeit in der Musiklandschaft
und selbst Nichtmusikern wird es kaum gelingen, sich der unwahrscheinlichen
Live-Präsenz des Ausnahmebassisten zu entziehen. Die Rede ist von
T.M. Stevens. Unser Autor Oliver Poschmann traf Mr. Stevens anlässlich
eines vom Hamburger Musikladen No.1 Music inszenierten Workshops und erlebte
einen faszinierenden Musiker, der überdies fantastisch mit Kindern
umgehen konnte. So sorgte er zum Beispiel bei einer jungen Nachwuchsbassistin
innerhalb von 10 Minuten für eine wahre Transformation. Vor den Augen
der Zuschauer verwandelte sich ein schüchternes Mädchen mit
Bass um den Hals, zu einem headbangenden, selbstbewussten Bühnenvamp
- einfach sensationell. Und so beeindruckend T.M. Stevens' Bühnenpräsenz
ist, so einfühlsam und sensibel kann der Musiker sein. Eine Seite,
die dem Zuschauer rein äußerlich im allgemeinen verborgen bleibt.
Diese Seite näher zu beleuchten ist Thema dieser Story.
Vielleicht läßt sich der im New Yorker Stadtteil Bronx aufgewachsene
T.M. Stevens am besten mit den folgenden vier Attributen beschreiben:
Bewundernswerter Bassist, außerordentlicher
Musiker, einzigartiger Entertainer und ein sehr herzlicher Mensch.
!T.M.: Die Bronx wird im allgemeinen
als Ghetto bezeichnet. Für mich war sie jedoch so etwas wie ein Garten
voller Schätze. All die Erfahrungen die ich im Laufe der Jahre dort
sammeln durfte, haben mich im Endeffekt zu dem Menschen gemacht, der ich
heute bin. Vielen aktuellen Musikern fehlt meiner Meinung nach etwas,
mit dem ich damals ausgiebig konfrontiert wurde- der Schmutz. Die Bronx
war der Ort an dem Blues, Gospel, Funk und HipHop in trauter Harmonie
stattfanden. Mein Pfadfinderführer spielte Gitarre und brachte mich
mit 11 Jahren zur Musik. Die Pfadfindertreffen fanden jeden Samstag in
Harlem statt. Ein paar Blocks von unserem Clubhaus entfernt befand sich
das legendäre Apollo Theater, ein Live-Club in dem damals all die
großen Soul und Funk-Stars auftraten. Nachmittags wurden im Apollo
regelmäßig Zeichentrickfilme für Kinder gezeigt. Pünktlich
um fünf Uhr deutete ein Trommelwirbel unmissverständlich an,
dass es nun für die Kinder an der Zeit war den Laden zu verlassen.
Einmal blieb ich etwas länger und hatte das Glück zu erleben,
wie James Brown die Bühne betrat. Ich saß auf dem Balkon und
war sofort infiziert. Leider wurde ich entdeckt und musste gehen. Von
diesem Tag an trieb ich mich Abend für Abend vor dem Club herum,
um an der Tür dem Spiel von Bass-Legenden wie King Curtis, Jerry
Jemmott zu lauschen. Immer wenn die Musiker in den Pausen zur Tür
herauskamen hab ich sie mit Fragen nur so gelöchert. Nach einer Zeit
begannen sie mich schließlich Youngblood zu nennen. Nachts
nach Harlem zu fahren war damals meine einzige Chance meine musikalische
Faszination zu befriedigen, denn es gab halt kein Video, Internet, DVD,
u.s.w..
Seinen ersten Bass kaufte T.M. einem Junkie aus der Nachbarschaft
für 10.-$ ab. Seit dieser Zeit spielt der Bass in seinem Leben die
wichtigste Rolle. Seine professionelle Karriere begann er bereits im zarten
Alter von 15 Jahren. Die ersten Jobs fanden in Strip Bars statt, einem
Arbeitsplatz also, der in anbetracht seines jugendlichen Alters natürlich
absolut illegal war. Da T.M. aber sehr gut spielen konnte, wollten die
Bands ihn unbedingt dabei haben und fanden Mittel und Wege ihn allabendlich
unbemerkt hinein zu schleusen. Während der High-School Zeit arbeitete
er dann als Tellerwäscher in einem Altersheim und verdiente sich
so seinen ersten Fender Bass, den er aus Ermangelung eines Cases in einem
Karton herumtrug.
Im College, als er in Chemie und Biologiekursen zu ersticken drohte,
erwischte ihn sein Professor mit Kopfhören im Auditorium und sagte
zu ihm: Du wirst die Schule beenden und in einem Labor sitzen in dem
du dich zu Tode langweilst! Warum versuchst Du es nicht mit deiner Musik?
Wenn es nicht klappt, komm halt zurück.
!T.M.: Ich kam nie zurück, aber
der besagte Professor ist immer noch mein Freund und jedes Jahr danke
ich ihm aufs neue für seine Unterstützung.
Ab diesem Zeitpunkt drehte sich sein Leben ausschließlich um das
Bass spielen. Das Metronom wurde sein Übungsgefährte und als
sein Timing besser wurde, fing er damit an die ersten professionellen
Sessions zu spielen.
Schließlich
bekam er einen Gig bei Pharao Sanders und Norman Connors. Und der sollte
sein Durchbruch werden. Eines Abends ging die Snaredrum kaputt und man
musste irgendwie versuchen, die Zeit zu überbrücken. Jemand
kam auf die Idee T.M. alleine auf die Bühne zu schicken und ihn ein
Solo spielen zu lassen. Das Ganze wurde ein voller Erfolg und so wuchs
sein guter Ruf als Musiker stetig weiter. Später begann er dann für
den Produzenten und Sänger Narada Michael Walden zu arbeiten und
spätestens seit dieser Zeit ist T.M. eigentlich non stop im Einsatz.
!T.M.: Während meiner Harlemzeit
kam eines Abends James Brown zur Tür des Apollo-Theaters heraus.
Ich fasste meinen ganzen Mut zusammen, ging zu ihm und sagte: Mr. Brown,
eines Tages werde ich bei ihnen in der Band spielen. James war sehr
nett und gab mir eine dieser positiven Klischeeantworten: Ja Junge,
bleib weg von Drogen, geh zur Schule und eines Tages spielst Du bei James
Brown... Jahre später erhielt ich dann witzigerweise einen Anruf.
Ich sollte für den Filmsoundtrack von Rocky 4 Bass auf dem Titel
Living in Amerika spielen. Ich kam ins Studio und da saß
er- James Brown persönlich. Ich ging zu ihm und erzählte ihm
meine Geschichte vom Ghettokind, das den Godfather vor einer Clubtür
traf und davon träumte irgendwann ein Profimusiker zu werden. Ich
bin der festen Überzeugung, dass man alles schaffen kann. Ich kam
aus dem Ghetto. Andere können es genauso packen, egal welcher Lebenssituation
sie auch entstammen mögen. Das Problem ist, dass uns ständig
eingeredet wird, irgendetwas könne schief laufen. Mach erst mal die
Schule fertig, studier was, lern was vernünftiges. Es wird immer
auf die Hintertür geachtet, falls etwas nicht so funktioniert wie
man es sich vorstellt. Als Resultat daraus läuft wirklich oft etwas
schief. Wir sind halt so programmiert. Wenn wir diesen Gedanken jedoch
keinen Platz in unseren Köpfen geben, dann kommen wir auch voran
- daran glaube ich."
?PG: Wie verhält es sich eigentlich
mit dem Sound und der Stilistik, wenn du für eine Session gebucht
wirst? Wieviel TM Eigenanteil darf dabei sein?
!T.M.: Nun, ich höre mir erst
mal an, nach welcher Art Basspart der jeweilige Song und der Künstler/Interpret
verlangen. Dann erst addiere ich eine Portion T.M. dazu. Man sollte grundsätzlich
immer versuchen einen eigenen Stil zu entwickeln und nicht zu kopieren.
Ich höre eine Menge Bassisten, die z.B. wie Jaco (Pastorius) klingen.
Ich halte das für einen Fehler. Das Gehirn ist wie ein Computer.
Die gelernte musikalische Information kommt in mein Gehirn und wird analysiert.
Dann passiert sie verschiedene Filter und landet schließlich im
Herzen, dort wo ich schließlich das Gelernte vergesse bzw. meinem
eigenen Feeling entsprechend verändere. So mache ich es mir zueigen.
?PG: Während deines Workshops
fiel mir auf, wie groovy du auch ohne Drummer spielen kannst. Wie gehst
du in dieser Hinsicht vor?
!T.M.:
Ich höre immer Sechzehntel-Noten, auch wenn sie nicht vorhanden sind.
Sie laufen in meinem Kopf nonstop durch. George Clinton sagte einmal,
eine großartige Show beginnt in der Garderobe, nicht auf der Bühne.
Dein Spiel beginnt nicht, wenn du dich einstöpselst und loslegst.
Dein Spiel läuft 24 Stunden am Tag. Wenn ich irgendwo alleine rumsitze,
wippe ich mit meinem Kopf und die Leute denken, ich bin bescheuert. In
Wirklichkeit höre ich aber laufend Grooves und den Funk in meinem
Kopf. Auch wenn ich an einem neuen Album arbeite, höre ich im Kopf
schon das Endresultat. Anfangs spiele ich alle Instrumentenstimmen auf
dem Bass. Auch die Keyboard-Akkorde und die Gitarren - oft jage ich dann
sogar den Bass durch einen Marshall. Manchmal klingt das Ergebnis schon
so gut, dass ich es in dieser Form behalte. Im Normalfall werden die Parts
aber von den gewünschten Instrumenten ersetzt.
Vom Session Bassist zum Solokünstler war es dennoch ein langer Weg
und manchmal geriet T.M. wegen seiner Soloqualitäten sogar in Schwierigkeiten.
Viele Bühnenstars bevorzugen eher unauffällige Sidemänner,
die ihnen nicht die Show stehlen.
!T.M.: Auch Jimi Hendrix hatte wegen
seiner starken Bühnenpräsenz ständig Schwierigkeiten. Ich
fasste eines Tages einen Entschluss: O.k., ich mache meine Sessionarbeit,
aber ich werde mich nicht soweit darin verliere, dass ich mich selbst
aufgebe. Und genau deshalb mache ich meine Soloalben und lebe mich dort
voll aus. Mein erstes Album unter eigenem Namen erschien 1995. Dies wiederum
hatte direkten Einfluss auf meine Sessionbuchungen. Plötzlich hieß
es: Oh, T.M. ist jetzt Solokünstler, wir können ihn nicht mehr
buchen. Warum nicht, fragte ich immer wieder und die Leute waren überrascht,
dass ich nach wie vor für Sessionarbeit zur Verfügung stand.
Im Business wird immer in Schubladen gedacht. Es heißt: Weil
er Rockmusik macht, kann er keinen Jazz spielen, weil er Broadway spielt,
kann er nicht auf Tournee gehen... Dabei geht es doch um Musik! Man
kann vieles machen, ohne sich limitieren zu müssen.
Computer haben auch T.M.'s Sessionflut eingedämmt. Und genau aus
diesem Grund hört man auf seinen Solo-Alben auch ausschließlich
echte Musiker. Hier wird nichts programmiert.
!T.M.: Das schöne an Menschen
ist: Sie machen Fehler. Miles Davis sagte einmal zu mir. Habe keine Angst
Fehler zu machen, denn ein Fehler ist eine Tür zum Durchbruch. Man
kann eine Sache auf gewohnte Weise spielen, plötzlich macht man einen
Fehler und ooops! Es entsteht eine vollkommen neue, wesentlich interessantere
Idee. Beim Spielen sollte man nicht denken. Im Idealfall spielst nicht
Du die Musik, sondern die Musik spielt durch dich. Schau dir Hendrix an.
Er ist rein intuitiv zu Werke gegangen. Spiel, spiel, spiel und irgendwann
wird es kommen - wenn es deine wahre Passion ist. Durch denken passiert
nichts. Weißt du, ich gebe von Zeit zu Zeit Masterclasses in Berklee
(Boston). Als erstes zücken die Schüler ihre Schreibblöcke
und Bleistifte. Stop, sage ich in solchen Fällen. Legt das mal beiseite.
Das was ich euch zeigen will, sollt ihr in eure Herzen schreiben und nicht
in eure Köpfe. Es geht um FUNK.
Das
gleiche Problem haben Musiker oft, wenn sie vom Blatt spielen. Ich finde
es wichtig herauszufinden, was genau es eigentlich ist, was die Musik
braucht. Nur so kann man das auf dem Papier Geschriebene zum Leben erwecken.
Mein erster Job am Broadway war eine Show bei der ich nur so tat, als
würde ich lesen. In Wirklichkeit hatte mein Spiel aber nichts mit
dem zu tun, was auf dem Blatt stand. Nach ca. 2 Wochen nahm mich der Dirigent
zur Seite und sagte: Wir haben sehr schnell gemerkt, das du nicht vom
Blatt spielst, aber wir haben dich nicht gefeuert, weil das was du spielst
besser ist, als das was auf dem Blatt steht. Schließlich haben
sie den Basspart tatsächlich so umgeschrieben, wie ich ihn gespielt
habe.
?PG:In deiner bewegten Karriere hast
du viele verschiedene Instrumente der unterschiedlichsten Herstellern
endorst. Seit kurzer Zeit bist du stolzer Besitzer deines ureigenen Signature
Modells, das du in Zusammenarbeit mit der Firma Cort entwickelt hast.
Die Features des Basses spiegeln tatsächlich viel von deiner eigenwilligen
Musiker-Persönlichkeit wider.
!T.M.: Ja, das stimmt. Es ist toll
ein solches Instrument auf den Leib geschneidert zu bekommen. Als Leadsänger
und Frontmann meiner Band brauchte ich einen Bass mit dem ich nicht kämpfen
muss, sondern der mich unterstützt. Zusätzlich zu hervorragenden
Standard-Features wollte ich unbedingt, dass auch ein Effekt im Bass integriert
ist. Dabei handelt es sich um ein Autowah, das ich Bootsie Collins gewidmet
habe. Es kann aber auch ziemlich nervenaufreibend sein, seinen Namen auf
dem Bass stehen zu haben. Plötzlich haben alle Menschen Zugang zu
deinem Instrument und du bist umgehend aller guten und schlechten Meinungen
ausgeliefert. So rief mich zum Beipiel Marcus Miller an und sagte, er
hätte meinen Bass im Laden gesehen und gespielt....oh ja?....er klingt
gut, ist ein wirklich gutes Instrument.....uff, er mag ihn.
Neben meiner Funkmachine verwende ich auch einen Cort Doppelhals-Bass,
der einen Viersaiter und einen Achtsaiter kombiniert. Natürlich spiele
ich auch Fünfsaiter, deshalb wird es bald auch einen 5-String Funkmachine-Bass
geben.
?PG: Noch etwas Tech-Talk zum Schluss?
!T.M.: Oh ja, nun, meine komplette Band ist auf Eb
gestimmt. Das macht den Sound heavier. Die E-Saite meines Basses stimme
ich manchmal sogar bis auf Bb herunter - bisweilen bin ich halt sehr extrem.
Verstärkungstechnisch verwende ich eine Demeter Röhren-Direktbox
und einen Röhrenamps von Ampeg (4-Pro). Die hochfrequenteren Speaker
mikrophoniere ich mit einem Ambient Mikro in größerer Entfernung
ab. Die beiden Signale werden dann auf unterschiedlichen Spuren aufgezeichnet
(Direkt und Micro) und erst im Mix entscheide ich mich, in welcher Form
die Signale im Endeffekt zusammengemischt werden. Seit kurzer Zeit gibt
es übrigens auch ein Klotz T.M. Funk Kabel. Klotz kam mit der Idee
auf mich zu und ich fand es toll. Wir haben zusammen daran gearbeitet
und es ist ein sehr gutes Kabel dabei herausgekommen. Die Wirkung des
Kabels auf den Gesamtsound wird sehr häufig unterschätzt. Ich
habe die Erfahrung gemacht, dass es unglaublich wichtig ist, ein gutes
Kabel am Start zu haben.
?PG: A final word...?
!T.M.: Das ganze Musikgeschäft
ist zu geldorientiert geworden - das war es zwar schon immer - aber es
ist kaum noch Platz für Kunst. Die Geschichte von Rock'n'Roll in
den USA wurde von Chuck Berry und Jerry Lee Lewis begründet und heute
sagen die Leute als Schwarzer kannst Du keinen Rock'n'Roll machen- das
ist Blödsinn. Es ist an der Zeit wieder richtige Musik zu machen.
Die Industrie killt laufend ihre eigenen Resourcen. Ein Künstler
weiß mit 18 noch nicht wirklich, was er tut. Im Laufe der Jahre
entwickelt er sich jedoch und hat wirklich etwas zu bieten. Oft ist er
dann aber bereits abgesägt worden. Das Ganze ist ungefähr so,
als würde man einen Baum fällen, der gerade stark und groß
genug geworden ist, um Sauerstoff und Schatten zu spenden. So erzählte
Miles Davis mir zum Beispiel, er habe seinen ureigenen Ton nicht gefunden,
bevor er 60 Jahre alt war und das glaube ich ihm. Kannst Du dir vorstellen
man hätte Miles mit 30 weggeworfen, weil er zu alt gewesen wäre???
Wir hätten vieles versäumt.