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Saiten-Sprinter

Als Gitarrist von Mr. Big trat Paul Gilbert ins Rampenlicht. Mit seinem Solo-Album "King Of Clubs" hat der sympathische Schnellfinger einen weiteren Trumpf im Ärmel. Für Hansi Tietgen packte Paul Gilbert die Gitarre aus und gab ihm einige Kniffe für Euch mit.

!?: Freunde des "shreddings" werden sich über dein Album ziemlich wundern, stehen doch Gesang und songorientiertes Gitarrenspiel im Vordergrund.

Paul Gilbert: Für mich war das die normalste Sache der Welt. Ich wollte nie ein reines Instrumental-Album machen. Okay, ab und zu mal einen Instrumental-Song, aber ich bin eher ein Fan von gesangsorientiertem Songwriting. Für mein eigenes Album war es wichtig, eine Reihe von Songs zu haben, die perfekt zu meiner Stimme passen. Ich mußte sehr viel mit Tonarten experimentieren, bis ich die ideale Spielwiese für meine Vocal-Einlagen gefunden hatte. Ich habe ja eine ziemlich tiefe Stimme. Um weiterhin Open-String-Riffs und -Chords verwenden zu können, mußte ich meine Gitarre um einen Ganzton nach unten stimmen. Bei "My Naomi" habe ich die Gitarre sogar auf "C" runtergestimmt. Also Leute; wundert Euch nicht, wenn ihr mal den einen oder anderen Riff abhören wollt!

!?: Welche Saitenstärke verwendest du, um trotz der tieferen Stimmung ein „normales” Spielgefühl zu haben?

PG: Im allgemeinen spiele ich einen 10er Satz mit etwas dickeren Baß-Saiten als üblich.

!?: Gesanglich bist du ja auch bei Mr. Big ab und an zum Zuge gekommen.

PG: Klar, so hatte ich die Möglichkeit, sehr viel von Eric (Martin, Sänger von Mr. Big) zu lernen. Er ist ein hervorragend ausgebildeter Sänger und hat uns immer mit wertvollen Tips und Tricks versorgt. Mein Album habe ich zuhause, in meinem eigenen Studio aufgenommen. So konnte ich gesanglich ordentlich experimentieren, ohne mit meinen „Arien” irgendeinem Tontechniker die Nerven zu rauben.

!?: Wie hast du die Erfahrungen gesammelt, um den Part des Produzenten und Tontechnikers in einer Person zu übernehmen? Ein Drumset vernünftig abzumiken ist ja auch nicht gerade die leichteste Übung.

PG: Ich bin an solchen Dingen sehr interessiert. Wenn ich mit Mr. Big im Studio war, habe ich die Toningenieure mit Fragen nur so gelöchert. Ich habe genau aufgepaßt, welches Mikro sich für welche Aufnahmesituation am besten eignet und das dann gleich in meinem eigenen Studio ausprobiert. Außerdem haben wir alle Mr.-Big-Demos in meinem Studio produziert, so daß ich auch hier etliches an Erfahrungen sammeln konnte. Überhaupt war das ganze Ding mit dem eigenen Studio ein Entwicklungsprozeß. Angefangen habe ich mit einem Vierspur-Cassetten-Multitracker. Darauf folgte ein Achtspur-Gerät. Jahre später kaufte ich mir zwei ADATs. Mittlerweile habe ich fünf davon. Ich bin also in der Lage, vierzig Spuren aufzunehmen.

!?: Welches Pult verwendest du?

PG: Frag' das bitte nicht! Nein, im Ernst. Das war der schwierigste Teil der Operation "King Of Clubs". Ich besitze gerade mal einen 24-Kanal-Mixer. Na ja, um vierzig Spuren damit zu managen, mußten wir schon ganz schön in die Trickkiste greifen. Aber ich hatte tatkräftige Unterstützung von meinem alten Freund Bruce Bouilliet, der ja auch schon den gitarristischen Widerpart in meiner ersten Band Racer X bildete. Bruce war fürs Mischen zuständig, und ich bediente die Effekte. So einfach war das! Na ja, zumindest fast. Bruce und ich sind stellenweise schon ganz schön ins Schwitzen gekommen.

!?: Bleiben wir doch mal bei Racer X . In der Band ging es ja gitarrentechnisch ziemlich zur Sache. Man ordnete deinen Stil damals in der Sparte Neo-Classical ein, zu der ja auch Yngwie Malmsteen zählte. Im Gegensatz zu Yngwie hat sich dein Spielansatz nach deinem Einstieg bei Mr. Big jedoch sehr geändert. Laß uns das Ganze mal anhand von ein paar netten Lix auf den Punkt bringen. Wie wäre es mit einer kleinen klassisch angehauchten Etüde, sagen wir mal in A-aeolisch, der Lieblingstonart eines jeden „Neo- Klassikers”.

PG: Kein Problem. Das Beispiel (Abb. 1, S.28) besteht aus einem Basispattern, das ich durch die verschiedenen Lagen der A-aeolischen Scale entwickle. Achtet beim ben auf den konsequenten Einsatz von Alternate Picking.

!?: Du hast einmal gesagt, du würdest nie wieder eine kleine Sexte in deinen Soli verwenden!

PG: Sag niemals nie, aber eigentlich habe ich mich daran gehalten. Im Blues/Rock-Bereich ist halt ein anderer Sound gefragt. So mutierte ich vom „Moll-Jünger” zum bervorzugten Hip-Scale-Spieler.

!?: Die Einsatzgebiete der erweiterten Bluesscale sind eher die bluesverwandte Rockmusik und der Funk, w?hrend man die aeolische Molltonleiter haupts?chlich in kommerzieller Rockmusik und Balladen findet.

PG: Ja genau. Man kann das Basispattern aus Abb.1 auch in der erweiterten Blues Scale einsetzen. Das zweite Beispiel zeigt, wie man einzelne Lagen der Blues Scale mit Hilfe des Patterns zu einem interessanten Lauf verknüpfen kann (Abb.2). Um den Überblick zu behalten, rate ich Euch, die Töne des Beispiels mit der „normalen” Blues Scale zu vergleichen. So seht Ihr, an welchen Stellen des Lix ich, neben den Tönen dieser Tonleiter, zusätzlich auch die große Sexte einsetze. Dieses Wissen macht das Ganze dann wesentlich universeller einsetzbar.

!?: Gibt es Lix, die du als typische „Paul-Gilbert-Trademark-Lix” bezeichnen würdest?

PG: Neben einem gepickten Moll Pentatonic-Run (Abb. 4) fällt mir da spontan ein Legatolauf ein, der genau zum eben besprochenen Thema paßt. Abbildung 5 zeigt das Basispattern. Achtet beim üben auf die Verteilung von Ab- und Aufschlägen beim Saitenwechseln. Um die Sache auf den Punkt zu bringen, gebe ich Dir zusätzlich noch zwei weitere Beispiele, die den Lauf im Einsatz zeigen. In Abbildung 6 verwende ich den Lick in der A-Hip-Scale, mit eben der besagten großen Sexte. Abbildung 7 zeigt den gleichen Lauf, nur mit kleiner Sexte in der A-aeolischen-Scale. Praktischer geht es nicht. Ein Lauf für zwei unterschiedliche Einsatzgebiete.

!?: Apropos Einsatzgebiet. Wird es deinen Fans möglich sein, dich neben deiner Workshop-Tour auch mit „richtiger” Band auf der Bühne zu erleben?

PG: Ich habe bereits eine Tour in Japan hinter mir. Es ist eine fünfköpfige Band mit zwei weiteren Gitarristen neben mir, die die Rhythmus-Parts übernehmen. Ich will mich voll auf die Rolle des Frontmanns und Sängers konzentrieren, um so besser mit dem Publikum kommunizieren zu können. Das ist einfacher, ohne sich noch auf das Gitarrenspiel konzentrieren zu müssen. Die Soli lass' ich mir aber natürlich nicht nehmen! Ob ich mit der Band auch in Europa touren werde, steht allerdings im Augenblick noch in den Sternen.

!?: Was machen eigentlich deine Mr.-Big-Kollegen Eric, Billy (Sheehan) und Pat (Torpey) während du in eigener Sache unterwegs bist?

PG: Die Jungs haben wirklich keine Langeweile. Billy hat gerade mit seiner Fun-Band Niacin sein drittes Album eingespielt. Ziemlich coole Angelegenheit. Die Band bietet Billy sehr viel Freiraum für seine Baß-Eskapaden. Der Drummer ist übrigens Dennis Chambers. Für einen guten Groove ist also gesorgt. Auch Eric und Pat sind gerade dabei, ihre Soloalben fertigzustellen. Ich habe zu Pats Scheibe einige Soli beigesteuert. Im Gegenzug hat er dann auf einigen meiner Songs getrommelt.

!?: Also werden Mr.-Big-Fans noch einige Zeit auf das Erscheinen eines neuen gemeinsamen Albums warten müssen?

PG: Das mit Sicherheit. Aber es wird auf alle Fälle nach unseren Soloausflügen ein neues Mr.-Big-Album geben!

!?: Zurück zum Gitarristen Paul Gilbert. Bis jetzt haben wir ja ausschließlich über sehr lineare Lix gesprochen. Wie wäre es denn mit einem Teil, das ein wenig mehr "attitude" an den Tag legt?

PG: Gute Idee. Eigentlich liebe ich es, nur mit der Pentatonic-Scale zu improvisieren. Sie bringt mich immer dazu, nicht einfach nur schnelle, lineare Läufe abzufackeln, sondern auch mal mit mehr rhythmischen Variationen zur Sache zu gehen. Also los. Wie wäre es mit einem Bending-Lick, der mit einem gesweepten, abgedämpften Arpeggio (Rake) für die nötige "attitude" sorgt (Abb. 8)? Wichtig bei einem "rake" ist, daß der Zeigefinger wie in unserem Fall die E-, H- und G- Saite sauber abdämpft. Der Ton G auf dem fünften Bund der D-Saite hingegen muß sauber klingen, um sofort mit einem Hammering auf dem siebten Bund zu enden. Hört Euch das auf der Check-The-Sound-CD am besten ein paarmal an, bevor ihr loslegt. Die linke Hand spielt hierbei nur Aufschläge, indem ich die Hand gleichmäßig von der hohen E- Saite bis zur D-Saite hochziehe. Viel Spaß beim Experimentieren! Da fällt mir noch ein weiteres Teil ein (Abb.9). Ein Bending Lick, der sich durch zwei Lagen der A-Blues-Scale arbeitet. Rhythmisch wiederholt sich das Pattern einmal auf der Zählzeit und dann wieder auf einer "Und-Zeit". Das macht das Ganze interessanter.

!?: Kommen wir zu deinem Equipment. Welche Amps hast du bei den Aufnahmen zu "King Of Clubs" verwendet

PG: Seit der letzten Mr.-Big-Scheibe benutzte ich fast ausschließlich ein GH-100-L-Top von Laney. Die Box ist ein 2x12"-Kabinet, das sich absolut hervorragend abnehmen l??t.

!?: Wie sieht es mit deinem Gitarrenfuhrpark aus? Du bist ja ein berüchtigter Ibanez Sammler.

PG: Ich bin ein absoluter Ibanez-Fan. Neben aktuellen Modellen bin ich auch stolzer Besitzer einiger Ibanez-Firebird, Les-Paul- und Telecaster-Kopien aus den späten 70ern. Teure Vintage-Teile zu sammeln ist eben absolut nicht mein Fall, sorry. Einige meiner Schätzchen kann man auch auf "King Of Clubs" und der letzten Mr.-Big-Scheibe hören.

!?: Welche Akustik Gitarre spielst du eigentlich bei "The Jig"?

PG: Oh, da muß ich beichten. Ich finde die meisten "Acoustics" in den oberen Lagen relativ schwer zu spielen. Da habe ich zu einem kleinen Trick gegriffen. In einem Musikladen meiner Heimatstadt fand ich ein Ibanez-Pat-Metheny-Modell. Das Teil war so gut zu bespielen, daß ich sie mir ausgeliehen habe, sie mit Akustikgitarren-Saiten bestückte und dann mit Mikrofonen abnahm. So ist der Sound auf "The Jig" entstanden.

!?: Vielen Dank, Paul!